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Das Brandenburger Paritätsgesetz
aktualisiert am 8.5.2022
Foto: PantheraLeo1359531, Klara Geywitz beim SPD-Jahresempfang 20200219, CC BY-SA 4.0 extern🡽
Klara Geywitz (SPD) gehörte zu den maßgeblichen Initiatoren des Brandenburger Paritätsgesetzes, nach dem Frauen und Männer zu gleichen Teilen im Brandenburger Landtag vertreten sein sollten. Sie selbst bezeichnet sich als Feministin. Bundesweit bekannt wurde die Politikerin, als sie 2019 zusammen mit Olaf Scholz - letztlich erfolglos - zur Wahl zum SPD-Vorsitz kandidierte. Scholz belohnte sie als gewählter Bundeskanzler im Dezember 2021 mit dem Posten der Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen.
Ich schickte der Landtagsabgeordneten nach der Verabschiedung des Wahländerungsgesetzes folgende Mail:
Gesendet: 25. März 2019 um 17:31 Uhr
Sehr geehrte Frau Geywitz, wie ich auf der Homepage der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg lese, sind Sie für das Thema "Mehr Frauen ins Parlament" verantwortlich. Insbesondere freuen Sie sich über das Parité-Gesetz in Brandenburg, das mit den Stimmen von SPD, Linke und Bündnisgrünen ermöglicht wurde. Auch wenn Sie es vielleicht nicht gerne hören oder lesen, aber es gibt auch Menschen, die das Brandenburger Paritätsgesetz als unlogisch, unfair und sogar demokratiefeindlich beurteilen. Ob es unserer Verfassung entspricht, wird unser höchstes Gericht feststellen müssen. Nur dieses Gericht entscheidet. Keine Partei. Nicht einmal eine Parlamentsmehrheit. Das ist die vernünftige Lehre, die im Grundgesetz aus den Erfahrungen von Weimar und der Machtergreifung durch den Faschismus gezogen wurde. Keinem "normalen" Bürger vermag z. B. einzuleuchten, weshalb Personen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen, frei entscheiden dürfen, für welche Liste sie sich aufstellen möchten. Damit hätte diese Gruppe ja doppelte Chance und der Gleichheitsgrundsatz wäre grundsätzlich erledigt. Und noch absurder finde ich, dass eine reine Männerpartei keine Frauen aufstellen muss. Vielleicht kommt ja die AFD auf die Idee, sich als Männerpartei zu definieren. Die SPD lobt sich dafür, dass sie seit über 30 Jahren eine feste Quotenregelung hat und dass 50 Prozent der SPD-Abgeordneten im Brandenburger Parlament weiblich sind. Glückwunsch dazu. Allerdings geht mir noch etwas anderes durch den Kopf. Ich persönlich fände es nämlich viel wichtiger, wenn eine andere Gruppe weitaus deutlicher im Bundestag und in den Landesparlamenten repräsentiert wäre - und das ist die Gruppe der Arbeiter und Angestellten. Leider scheint das für Sie und Ihre Partei kein so großes Problem zu sein. Auf jeden Fall habe ich bisher von keiner einzigen Initiative gehört, die dieses Unrecht beseitigen möchte. Das wundert mich umso mehr, weil Ihre Partei – so dachte ich bisher - dieser Bevölkerungsgruppe besonders nahe steht und angibt, deren Interessen zu vertreten. Meine Fragen: Wann werden Sie dieses Manko in Ihrer eigenen Partei angehen und wann verzichten die vollkommen überrepräsentierten Akademiker und Akademikerinnen der SPD z. B. im Bundestag und in den Landtagen zugunsten von Arbeitern, Angestellten, Handwerkern, Krankenschwestern, Verkäufern, Hausfrauen und Arbeitslosen (weibliche und/oder männliche) auf ihre Sitze? Wann erarbeiten Sie mit Ihrer Partei einen Gesetzesentwurf, der dafür sorgen könnte, dass diese Ungerechtigkeit beseitigt wird und in den Parlamenten vor allem diejenigen Menschen (männliche und weibliche) vertreten sind, die den weitaus größten Bevölkerungsanteil repräsentieren? In Erwartung von überzeugenden Antworten verbleibe ich mit freundlichem Gruß |
Die Antwort von Frau Geywitz ließ erfreulicherweise nicht lange auf sich warten. Andere Politiker und Politikerinnen lassen sich erheblich mehr Zeit oder antworten überhaupt nicht.
Gesendet: 1. April 2019 um 09:07 Uhr Herzlichen Dank für Ihre kritische Zuschrift. Es stimmt, in deutschen Parlamenten sind nicht nur Frauen unterrepräsentiert, sondern auch viele Berufsgruppen oder Menschen mit Migrationshintergrund. Sie fragen daher, warum wir uns alleine der Unterrepräsentanz der Frauen zuwenden. Dies folgt aus dem speziellen Arbeitsauftrag der Grundgesetzes und der Landesverfassung Brandenburgs. Dort heißt es „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ (Art 3 (2) GG) und in der Landesverfassung Brandenburgs erneut „Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Das Land ist verpflichtet, für die Gleichstellung von Frau und Mann in Beruf, öffentlichem Leben, Bildung und Ausbildung, Familie sowie im Bereich der sozialen Sicherung durch wirksame Maßnahmen zu sorgen.“ (Artikel 12) Aus diesem beiden Verfassungen heraus ist die Politik geradezu verpflichtet, wirksame Maßnahmen zur Gleichberechtigung von Mann und Frau zu ergreifen. Denn in allen deutschen Parlamenten sind Frauen dauerhaft und deutlich unterrepräsentiert. Und die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass der Frauenanteil zur Zeit sogar sinkt. Deswegen hat der Landtag sich entschlossen, ein Paritätsgesetz zu verabschieden. Ihre Sorge über die besseren Chancen für Menschen des dritten Geschlechtes teile ich nicht. Da sie sich auf der Versammlung entscheiden müssen, ob sie auf einem Männer- oder Frauenplatz kandidieren, ist ihre Chance genauso hoch wie für jeden Mann oder jede Frau. Die Ausnahme für Männerlisten hat vor allem juristische Gründe. Das Paritätsgesetz schränkt ja in gewissem Maße die in Artikel 21 (1) garantierte Freiheit der Parteien ein. Das scheint in Abwägung mit Artikel 3 verhältnismäßig. Es sei denn, der Zweck der Partei wird durch die verpflichtende Repräsentanz von Frauen unmöglich gemacht. Ansonsten stimme ich Ihnen zu, dass der Bundestag die Bevölkerung repräsentierten muss, jedoch setzt dies nicht zwingend die statistische Gleichverteilung unterschiedlicher Gruppen in Volk und Parlament voraus. Der deutsche Bundestag ist ja gerade keine Ständeversammlung und jeder Abgeordnete soll das Wohl des ganzen Volkes im Blick haben. Jedoch stimme ich Ihnen zu, dass eine größere Vielfalt in den Berufsgruppen wünschenswert ist. In der SPD diskutieren wir daher intensiv, wie man Parteiarbeit so ändern kann, dass die Vereinbarkeit von Beruf und politischem Engagement leichter wird. Denn gerade Menschen in Schichtarbeit oder mit langem Arbeitstag haben derzeit oft Probleme, sich in Parteien einzubringen. Mit freundlichen Grüßen Klara Geywitz |
Die schnelle Antwort wollte mir nicht so recht gefallen. Und so schickte ich gleich die nächste Mail auf den Weg nach Potsdam.
Gesendet: 02. April 2019 um 12:23 Uhr Sehr geehrte Frau Geywitz, vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, die mich leider nicht in allen Punkten befriedigen konnte. Im Artikel 12 der Brandenburgischen Landesverfassung heißt es (vollständig zitiert):
Die soziale Herkunft oder Stellung ist dort also genauso erwähnt wie das Geschlecht. Auch im GG heißt es in Artikel 3 (wieder vollständig zitiert):
Da die Abgeordneten (männlich und weiblich) vom Europaparlament, des Bundestages und der Landesparlamente mit den Diäten ihren Lebensunterhalt bestreiten können, kann nach meiner Meinung von Berufspolitikern gesprochen werden. Ich habe bisher keine Kenntnis von irgendeinem Beruf in Deutschland, bei welchem eine paritätische Verteilung nach Geschlechtern vorgesehen ist. Und auch Art. 33 Absatz 2 GG fordert, dass jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt haben muss. Das wird allgemein als Leistungsprinzip verstanden. Von Geschlechtern steht dort nichts. Ich möchte Ihnen versichern, dass ich überhaupt nichts gegen die Gleichberechtigung von Frauen habe. Unzweifelhaft gibt es Nachteile für das weibliche Geschlecht und die müssen beseitigt werden. Mir scheint es allerdings überhaupt keine gute Idee zu sein, mit einem Gesetz in Wahlen einzugreifen und Demokratie zu lenken. Das erinnert doch irgendwie an Blockparteien-Systeme. Nun gut, letztlich wird wohl das Bundesverfassungsgericht über Rechtmäßigkeit und Ausgestaltung von Paritätsgesetzen entscheiden müssen. Mit freundlichen Grüßen |
Und so ähnlich kam es dann auch. Es war nämlich das für Brandenburg zuständige Potsdamer Verfassungsgericht, welches das Brandenburger Wahländerungsgesetz von Anfang 2019 fast 2 Jahre später für nichtig erklärte. Nach diesem Paritätsgesetz hätten die Parteien ab der Landtagswahl 2024 ihre Wahllisten zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen besetzen müssen. Das verstieß aber nach dem Urteilsspruch der Potsdamer Richterinnen und Richter gegen die Brandenburger Verfassung. Bemerkenswert: Die Entscheidung fiel einstimmig - also auch die weiblichen Mitglieder des Verfassungsgerichts plädierten gegen das Gesetz.
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