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Ulrike Meinhofs Grab

erstellt am 11.2.2007; aktualisiert am 8.5.2022

Ulrike Meinhof als junge Journalistin

Foto: Ulrike Meinhof als junge Journalistin (retuschiert) extern🡽

"Inmitten des massenweisen Tötens in unserer Welt und des massenweisen Getötetwerdens liegen auf dem Weg, zu dem sie sich entschlossen hat, Menschenleben und am Schluß sie selbst."
Pastor Gollwitzer 1976 am Grab von Ulrike Meinhof

Der Journalistin und RAF-Terroristin bin ich im Jahre 2001 begegnet. Da war sie allerdings schon ein Vierteljahrhundert tot. Als ich in Berlin nach Mariendorf umzog, wusste ich aber noch nicht, wer 1976 nur wenige Hundert Meter von meiner neuen Wohnung beerdigt worden war.

Gerade vor meinem Umzug hatte ich meine konkret-Jahrgänge aus der APO-Zeit entsorgt. Ulrike Meinhof war Kolumnistin und Chefredakteurin eben dieser Zeitschrift gewesen. Und sie war die Ehefrau des damaligen konkret-Verlegers Klaus Rainer Röhl. Natürlich habe ich ihre Kommentare gelesen, habe ihren weiteren Weg in den Medien und auf Fahndungsplakaten verfolgt.

Nach der gewaltsamen Befreiung des Kaufhausbrandstifters Andreas Baader, bei der ein Institutsangestellter schwer verletzt wurde, war sie ja in die Illegalität gegangen. Ulrike Meinhof wurde dadurch ungewollt Namensgeberin der terroristischen Baader-Meinhof-Gruppe. Die Gruppe selbst nannte sich Rote Armee Fraktion (RAF) und verübte eine Reihe von politisch motivierten Überfällen und Anschlägen, bevor Ulrike Meinhof 1972 zusammen mit den anderen Top-Terroristen der sogenannten 1.Generation verhaftet wurde.

Justizvollzugsanstalt Stammheim Foto: Mussklprozz, JustizvollzugsanstaltStammheim, CC BY-SA 3.0 extern🡽

Im Januar 1974 klagte der Generalbundesanwalt die führenden Köpfe der RAF - Baader, Ensslin, Meinhof, Meins und Raspe - wegen Mordes, Mordversuchs, Raubüberfällen, Sprengstoffanschlägen und Gründung einer kriminellen Vereinigung an. Der Prozess fand in einem extra errichteten Neubau in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim statt, in dem auch die Angeklagten einsaßen.

Zwischendurch wurde Meinhof nach West-Berlin verlegt, wo ihr der Prozess wegen gemeinsamen Mordversuchs und der Gefangenenbefreiung von Andreas Baader gemacht wurde. Im November 1974 erfolgte die Verurteilung zu acht Jahren Haft. Prozess und Gefängnisaufenthalt in Stuttgart wurden fortgesetzt. Dann ging am 9.5.1976 unerwartet die Sensationsmeldung um die Welt: Man hatte sie erhängt in ihrer Zelle in Stuttgart-Stammheim aufgefunden. Den Kontakt zu ihren beiden Kindern hatte sie da schon längst abgebrochen. Die waren 13 Jahre alt, als sie ihre Mutter nun endgültig verloren.

Im Laufe der Jahre geriet Ulrike Meinhof mehr und mehr in Vergessenheit. Aber nach der endgültigen Auflösung der RAF, Anfang 2001, ging ihr Name erneut durch alle Medien. Eine ihrer Zwillingstöchter, Bettina Röhl, ebenfalls Journalistin, schoss sich zunehmend auf einen ehemaligen Straßenkämpfer der Frankfurter Sponti-Szene ein, dem sie mit aller Macht Terrorismusnähe nachzuweisen versuchte. Brisant an dieser Sache war, dass dieser Mann mittlerweile zum allgemein geachteten Außenminister Deutschlands aufgestiegen war. Sein Name: Joschka Fischer.

Auf jeden Fall erreichte sie, dass die Angriffe auf Fischer wochenlange Debatten über 68er, APO und Gewalt nach sich zogen. Nicht nur die Politiker, sondern insbesondere die Medien beschäftigten sich ausführlich mit dem Thema. Und in einer dieser TV-Sendungen wurde auch auf die Beerdigung von Ulrike Meinhof eingegangen und in diesem Zusammenhang der Friedhof in Mariendorf genannt, wodurch ich selbst auf das Grab aufmerksam wurde.

Eher aus Neugier habe ich das Grab auf dem Friedhof der Dreifaltigkeitsgemeinde in der Eisenacher Straße aufgesucht. Ich habe es übrigens erst nach Befragen eines Friedhofgärtners finden können. Im Laufe der Zeit habe ich öfter mal nachgesehen. Manchmal lagen Blumen auf dem Grab oder auch mal ein Brief. Das Grab wurde dann zwischenzeitlich umgestaltet, die Hecke entfernt und ein Bäumchen gepflanzt.

Meinhof-Grab im Juni 2001© 2001 KopfsplitterFoto

Interessanterweise wird auf dem Foto vom Juni 2001 eine schwache Inschrift sichtbar, die auf dem Stein selbst heute fast spurlos verschwunden ist. Ursprünglich sollte der Text "Freiheit ist nur im Kampf um Befreiung möglich" eingraviert werden. Das wurde aber nicht erlaubt. Es scheint aber, dass die Arbeiten schon weit vorangeschritten waren, so dass die Inschrift oder entsprechende Vorarbeiten erst nachträglich entfernt wurden.

Meinhof-Grab im Juni 2001© 2001 KopfsplitterFoto

Dieses Foto vom Juni 2001 zeigt noch die ursprüngliche Bepflanzung mit einer Hecke. Rechts steht die Birke. Der Grabstein konnte vom Durchgangsweg (Wiese) nicht direkt gesehen werden, da er durch die Hecke verdeckt war. Der Eingang links ist nur zu ahnen. Eigentlich war also das Grab zu dieser Zeit "verkehrt herum" angelegt.

Meinhof-Grab im Juni 2001© 2001 KopfsplitterFoto

Das Foto zeigt noch die alte Lage des Grabsteins - entgegengesetzt zur heutigen Richtung. Dies ist an der Birke im Hintergrund zu sehen. Durch die Lage - verkehrt herum - wurde aber nicht das Grab einer Selbstmörderin markiert, wie ich es schon mal gelesen habe. Denn gleich daneben befinden sich drei ca. 80 Jahre alte Grabplatten, die ebenfalls andersherum ausgerichtet sind. Daran wird man sich wohl orientiert haben.

Meinhof-Grab im Februar 2004© 2004 KopfsplitterFoto

Das Grab im Februar 2004. Die Hecke ist entfernt, der Stein auf die entgegengesetzte Seite verlegt. Ein Bäumchen steht jetzt links neben dem Grabstein.

Meinhof-Grab im September 2007 © 2007 KopfsplitterFoto

Die Entführung der Zwillinge Bettina und Regine

Ihrem Vater Klaus Rainer Röhl war 1970 das vorläufige Sorgerecht für die beiden siebenjährigen Zwillingsschwestern bewilligt worden. RAF-Mitglieder entführten jedoch die Kinder in ein Flüchtlingslager nach Sizilien. Im Juli 1970 wurden die Zwillinge zwar Ulrike Meinhof zugesprochen, Röhl erhielt jedoch das Aufenthaltsbestimmungsrecht bis zur endgültigen Entscheidung im Sorgerechtsstreit. Im September sollten die Kinder von RAF-Getreuen aus Sizilien abgeholt und in ein Guerilla-Lager im Nahen Osten gebracht werden. Der ehemalige konkret-Redakteur Stefan Aust kam dem zuvor, befreite die Zwillinge zusammen mit einem RAF-Aussteiger und brachte sie zu ihrem Vater zurück. Aust veröffentlichte 1985 das Buch "Der Baader-Meinhof-Komplex", das 2008 auch als Vorlage für den gleichnamigen Film diente.

Meinhof-Grab im März 2019 © 2019 KopfsplitterFoto

Tja, und dann dieser Hammer: Das Gehirn von Ulrike Meinhof wurde 1976 nicht mit beerdigt, sondern von einem gewissen Professor Peiffer begutachtet und danach zu Forschungszwecken aufbewahrt. Seine These, die anscheinend keinen (mehr) interessierte: Wegen einer Hirnveränderung sei Ulrike Meinhof möglicherweise schuldunfähig gewesen. 1997 übergab er das Gehirn in einer Pappschachtel seinem Magdeburger Kollegen Bogerts zwecks weiterer Forschung.

Meinhof-Grab im März 2019 © 2019 KopfsplitterFoto

Dies alles geschah ohne Wissen der Angehörigen. Der Spiegel bekam Wind davon und bereitete eine entsprechende Story vor. Das wiederum brachte Bettina Röhl auf die Palme und sie startete mal wieder eine ihrer Medien-Attacken.

Das Gehirn ist schließlich am 22.12.2002 nachträglich beigesetzt worden.

Eine Frage wird leider nie beantwortet werden können: Was wäre in der Geschichte der BRD anders gelaufen, wenn Andreas Baader 1970 nicht befreit worden wäre? Dagegen ist schon eher vorstellbar, was in der Geschichte der Bettina Röhl anders gelaufen wäre, wenn an dieser Aktion ihre Mutter nicht beteiligt gewesen wäre.

Die ganze Tragik wird wohl am besten durch die Überschrift eines Artikels des Spiegel-Redakteurs Alexander Smoltczyk beschrieben:
"BETTINA RÖHL - Die letzte Gefangene der RAF".

Ulrike Marie Meinhof - Ein Menschenleben
   
7.10.1934 Geburt in Oldenburg (Niedersachsen)
1940 Tod des Vaters
1949 Tod der Mutter
1960 Chefredakteurin der Hamburger Zeitschrift konkret
27.12.1961 Heirat des konkret-Herausgebers Klaus Rainer Röhl
21.9.1962 Geburt ihrer Zwillingstöchter Bettina und Renate
23.10.1962 Hirnoperation
1968 Trennung von Röhl und Umzug mit ihren Kindern nach Berlin
1969 Beendigung ihrer Arbeit bei konkret
14.5.1970 Beteiligung an der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader und Abtauchen in den Untergrund
15.6.1972 Verhaftung in Hannover
29.11.1974 Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren
9.5.1976 Sie wird erhängt in ihrer Zelle in Stuttgart-Stammheim aufgefunden (vermutlich Selbstmord)
15.5.1976 Beisetzung in Berlin-Mariendorf auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof
22.12.2002 Nachträgliche Beisetzung ihres eingeäscherten Gehirns

Wer Ulrike Meinhofs Grab einen Besuch abstatten möchte, der findet es auf dem Friedhof der Dreifaltigkeitsgemeinde (Abt. A, unter einer Birke) in der Eisenacher Straße 61 in Mariendorf. Der um 1900 angelegte Friedhof ist trotz seiner geringen Größe in weiten Teilen unbelegt. Neben dem Haupteingang an der Eisenacher Straße gibt es noch diverse Zugänge vom benachbarten Kirchhof Zum Heiligen Kreuz.

Karte vom Friedhof der Dreifaltigkeitsgemeinde

Wer das Grab besucht, sollte vielleicht ein paar Schritte weitergehen und der Opfer aus der Nazizeit gedenken. Die BVG hat dort ein Ehrenmal errichten lassen für ihre "im Dienst gefallenen Kolleginnen", die alle in den letzten Kriegstagen am 12.4.1945 umkamen. Wahrscheinlich Bombenopfer. Die meisten waren nicht einmal 20 Jahre alt. In der näheren Umgebung sind auch zahlreiche Zwangsarbeiterinnen der Nazi-Diktatur bestattet.

Nur wenige Meter entfernt liegt der kurdische Asylsuchende Cemal Altun, der 1983 während einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aus Angst vor der Auslieferung an das türkische Militärregime in den Tod sprang.

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